Einladung HV 2024

Hallo Lukas
Wir laden ganz herzlich zur ersten offiziellen Hauptversammlung der neuen Sektion Bern Medien ein. Die Unterlagen zur HV sind in diesem Mail angehängt - wer keine E-Mailadresse bei syndicom hinterlegt hat, erhält die Unterlagen per Post. Warum das so lange gedauert hat, wieso man so wenig von uns gehört hat im letzten Jahr und womit wir uns rumgeschlagen haben, das lest Ihr im Jahresbericht.
Es wird keine grosse Veranstaltung werden - wir versuchen die Kosten und Abläufe in Griff zu bekommen. Auch dazu lest Ihr im Jahresbericht, was sich in diesen Bereichen so tut. Entsprechend wird es kein Saufgelage geben und auch kein grosses Essen.
Bitte meldet Euch an! Ihr könnt Euch per Post, per Telefon (031 318 60 50) oder per Mail (sektionmedien.be[at]org.syndicom.ch) anmelden bis zum 14. Juni. Wir müssen wissen, wie viele erscheinen, damit wir uns entsprechend vorbereiten können. DANKE!
Wenn Ihr Fragen habt, könnt Ihr Euch bei uns, dem Vorstand melden. Wir sind da für Euch.
In diesem Sinne: Bis bald!
Mit liebem Gruss
Der Vorstand Sektion Bern Medien
Lukas Vogelsang und Christof Berger
Postadresse für Post-Anmeldungen:
syndicom Sektion Bern Medien
c/o Lukas Vogelsang
Sandrainstrasse 3
3007 Bern
175 Jahre Gewerkschaft in der Berner graphischen Industrie
Die Jahrzahl 1848 steht für die Gründung der modernen Schweiz und die bisher grösste, aber schliesslich nochmals zurückgeschlagene europäische demokratische Revolution. 1848 gilt aber auch als Gründungsjahr der Berner Typographia, der ältesten Vorläuferorganisation der heutigen Berner Sektionen der Gewerkschaft Medien und Kommunikation (Syndicom).
Von Adrian Zimmermann
1848 ist bekanntlich ein sehr wichtiges Jahr in der europäischen und der schweizerischen Geschichte. Nach dem Sieg der liberal-radikalen über die katholisch-konservativen Kräfte im Sonderbundskrieg vom November 1847 entstand mit der Verabschiedung der ersten Bundesverfassung im September 1848 der moderne schweizerische Bundesstaat. Über die Landesgrenzen hinaus bildete der Sonderbundskrieg den Auftakt zu einer Welle von demokratischen Revolutionen, die 1848 über den ganzen europäischen Kontinent schwappte. Die Revolution in den Nachbarländern vereitelte auch Pläne der reaktionären Regierungen, auf konservativer Seite in die politischen Konflikte in der Schweiz zu intervenieren. Doch bald nach den eindrücklichen Anfangserfolgen der Revolution gewannen in Frankreich, Österreich und den italienischen und deutschen Staaten die konterrevolutionären Kräfte wieder die Oberhand. Während die revolutionären Bewegungen den Aufstieg der Kapitaleigentümer in Industrie und Handel, der «Bourgeoisie», zur gesellschaftlich herrschenden Kraft förderten, fanden sich ihre konsequentesten Vorkämpfer überall in der neuen Klasse der industriellen Lohnarbeiterschaft, im «Proletariat». Nicht von ungefähr erschien am Vorabend der 1848er-Revolution das von Karl Marx und Friedrich Engels verfasste Manifest des «Bundes der Kommunisten», das bis heute als eine Art Gründungsdokument der modernen sozialistischen Arbeiterbewegung gilt.
Die Anfänge der Berner Typographia Die Geschichte der Organisation der Facharbeiter in den Druckereien der Stadt Bern begann schon vor 1848. Bereits am 29. Februar 1824 hatten 28 Berner Buchdruckergehilfen eine Kranken- und Sterbekasse gegründet. Lange vor dem Entstehen öffentlicher Sozialversicherungen sicherten sie sich und ihre Familien damit auf dem Weg der Selbsthilfe teilweise gegen die Folgen von Unfällen und Krankheiten ab. 1843 schlossen sich etwa 30 Buchdrucker und Schriftgiesser zum Typographischen Verein Bern zusammen. Doch dieser beschränkte sich vorerst auf die Organisation von Bildungsaktivitäten und vor allem von geselligen Anlässen. Es war kein Zufall, dass die Vereinsmitglieder sich gerade im Frühsommer 1848 zu zwei richtungsweisenden Versammlungen auf der Schützenmatte trafen. Sie setzten eine Tarifkommission ein und beauftragten diese damit, gewerkschaftliche Forderungen an ihre Prinzipale, wie man die Druckereibesitzer damals nannte, zu formulieren. Diese gewerkschaftliche Pionierarbeit hing eng mit der Revolution von 1848 zusammen: Im Frühling 1848, als die demokratische revolutionäre Bewegung in Deutschland noch im Vormarsch war, entstanden dort auch erste grössere gewerkschaftliche Zusammenschlüsse. So gründete sich im Juni 1848 in Mainz der deutsche Buchdruckereiverein, der sich sogleich mit einem Vorschlag für eine kollektivvertragliche Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen an die Druckereibesitzer wandte. Auch der Berner Typographische Verein war in Mainz vertreten. Seine Forderungen richteten sich denn auch stark nach dem deutschen Vorbild und er beschloss auch den Beitritt zur deutschen Organisation. Die Nähe des Berner Typographenvereins zur deutschen Gewerkschaft war wohl auch auf persönliche Beziehungen zurückzuführen. Der führende Kopf des deutschen Buchdruckervereins, der Schriftsetzer und Journalist Stephan Born (1824–1898), war 1847 vom «Bund der Kommunisten» nach Bern geschickt worden, um die dortige «Gemeinde» des Bunds auf Kurs zu bringen. Nach der Niederlage der demokratischen Kräfte in den deutschen Staaten gegen die Konterrevolution unterdrückten die wieder gefestigten reaktionären Polizeistaaten mit den Ansätzen zu einem liberalen und demokratischen deutschen Bundesstaat auch die ersten deutschen Gewerkschaften. Der Beitrittsbeschluss der Berner Typographen zur nur kurzlebigen ersten deutschen Buchdruckergewerkschaft blieb somit weitgehend folgenlos.
Der Entwurf der Berner Buchdruckergehilfen vom Juli 1848 hatte das Ziel, eine gesamtschweizerische Regelung des Arbeitsverhältnisses im Buchdruckergewerbe zu erreichen. Ein Teil der Forderungen zielte darauf ab, die durch die Gewerbefreiheit und die Industrialisierung verschärfte Konkurrenz zu mildern. Diesem Ziel diente etwa die Forderung nach einer Beschränkung der Zahl der Lehrlinge. Es sollte verhindert werden, dass Lehrlinge ungenügend ausgebildet und als billige Arbeitskräfte missbraucht werden konnten. Modern ausgedrückt sollte die Regulierung des Lehrlingswesens Lohndumping verhindern. Eine andere Forderung betraf die Regelung der Arbeit an «Schnellpressen». Dabei handelte es sich um eine damals neue Form von Druckmaschinen, die mit Dampf oder Wasser angetrieben werden konnten. Ohne griffige Massnahmen drohten Schnellpressen viele der bisher an Handpressen beschäftigten Drucker brotlos zu machen. Weiter forderten die Berner Drucker und Setzer eine detaillierte Festlegung von Stück- und Akkordlöhnen, die Einführung eines Zehnstundentags sowie Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit. Zudem wurde eine Entschädigung für unverschuldetes Warten auf Arbeit gefordert. Bezeichnenderweise argumentierten die Berner Typographen, dass ihre Forderungen auch im Interesse der Druckereibesitzer liegen würden. Einheitlich festgelegte Arbeitsbedingungen seien auch ein Mittel gegen die «Schmutzkonkurrenz» unter den Betrieben. Tatsächlich erkannten viele Druckereibesitzer, aber auch kleine und mittlere Unternehmer anderer Branchen später bis zu einem gewissen Grad, dass Gesamtarbeiterverträge auch zur Regulierung der Konkurrenz auf den Produktemärkten beitragen konnten.
Gründung und Entwicklung des Schweizerischen Typographenbunds
Der Vorstoss der Berner Typographen von 1848 blieb erfolglos. Dennoch war er eine gewerkschaftspolitische Pioniertat. 1857 versuchte die Berner Typographia, wie sich der Verein nun nannte, erneut erfolglos, einen Preistarif festzulegen. Da der Abschluss eines lokalen Tarifs für die Druckereibesitzer einen Nachteil in der Konkurrenz mit in anderen Ortschaften tätigen Betrieben bedeuten konnte, ergriffen die Berner Typographen darauf die Initiative für eine gesamtschweizerische Organisation. Mitte Dezember 1857 gab die Typographia Bern eine Probenummer der Zeitung «Helvetische Typographia» heraus, am 13. Februar 1858 erschien die erste ordentliche Ausgabe der Zeitung, welche gemäss ihrem Untertitel als Organ «zur Besprechung sozialer und technischer Fragen für die Buchdruckerkunst und die verwandten Fächer» dienen sollte. Am 15. August 1858 wurde auf Einladung der Typographia Bern der Schweizerische Typographenbund (STB) in Olten gegründet. Gemäss seinen Gründungsstatuten sollte der STB eine gemeinsame Organisation für Prinzipale und Gehilfen sein. Doch nur sehr wenige Druckereibesitzer traten bei. Bald erwiesen sich die Interessensgegensätze zwischen Arbeitern und Unternehmern wie in anderen Branchen auch im graphischen Gewerbe als unüberbrückbar. Der STB wurde damit faktisch zur ältesten landesweiten Gewerkschaft der Schweiz und zur ältesten Gewerkschaft der graphischen Branche in Kontinentaleuropa. 1867 gründete der STB auf Antrag der Berner Sektion die Bundesreserve- oder Widerstandskasse, die Streiks und andere Aktionen unterstützte. Die Prinzipale schlossen sich 1869 ihrerseits im Verein Schweizerischer Buchdruckereibesitzer (VSB, später Schweizerischer Buchdruckerverband – SBV, heute VISCOM) zusammen. Bereits davor kam es an einigen Orten zum Abschluss von lokalen Kollektivverträgen zwischen der Gewerkschaft und den Druckereibesitzern, die die Lohntarife und Arbeitsbedingungen regelten.
Verhandlungen und Streiks
Der Berner Typographia gelang es nach den erfolglosen Vorstössen von 1848, 1857 und 1859 im Jahr 1861 erstmals, in konkrete Verhandlungen mit den Prinzipalen zu treten, die mit einem Teilerfolg endeten: Ab dem 1. Januar 1862 erhielten die Setzer in der Bundesstadt 40 statt wie bisher 36 Rappen für tausend gesetzte Zeichen – ein guter Handsetzer brachte es in einer Stunde auf 1500 Zeichen. Nicht durchsetzen liessen sich dagegen vorläufig ein wöchentlicher Mindestlohn und eine maximale Arbeitszeit von zehn Stunden pro Tag. 1865 verständigten sich die Berner Typographia und die Druckereibesitzer erstmals auf ein Lehrlingsregulativ. Grössere Fortschritte brachten die 1868 und 1869 geführten Verhandlungen um eine Revision dieses Vertrags. Der neue, ab dem 1. Januar 1870 gültige Tarif sah erstmals einen zehnstündigen Maximalarbeitstag und einen für die damalige Zeit guten wöchentlichen Mindestlohn von 27 Franken vor. Während es 1873 gelang, kampflos eine Einigung auf weitere Fortschritte zu erzielen, kam es im Rahmen der folgenden Vertragserneuerung am 1876 zum ersten Mal zu einem Streik der Berner Schriftsetzer und Drucker. Er dauerte nur einen Tag und endete mit einem vollen Erfolg der Gewerkschaft.
Weit gravierender war der Arbeitskampf im Dezember 1889. Dabei ging es nicht um den Lohn, sondern um grundsätzliche vereinsrechtliche Fragen: Der Verband der Druckereibesitzer nahm einen in Zürich ausgebrochenen Streik zum Anlass, einen Frontalangriff auf den Typographenbund zu lancieren. Der Unternehmerverband versuchte in der ganzen Schweiz, Streikbrecher anzuwerben. Er liess Flugblätter verteilen, die zum Austritt aus dem STB aufriefen und versprachen, Unorganisierten bei geringerem Preis gleichwertige Unterstützungen bei Tod, Invalidität und Krankheit zu bieten, wie sie der STB seinen Mitgliedern bot. Diese Drohung zeigt, wie wichtig damals für die Mitglieder die von der Gewerkschaft getragenen Versicherungsinstitu-tionen waren – 1884 hatte der STB zusätzlich zu den bisherigen Unterstützungseinrichtungen die erste gewerkschaftliche Arbeitslosenkasse der Schweiz gegründet. Als Antwort auf den Versuch des Unternehmerverbands, ihre Gewerkschaft zu zerschlagen, legten die Setzer und Drucker auch in den übrigen grösseren Orten der Deutschschweiz die Arbeit nieder. In Bern dauerte der Streik vom 11. bis zum 16. Dezember 1889. Die Gewerkschaft konnte zwar den Versuch, sie zu sprengen, abwehren. Neu musste sie aber auch die Anstellung von Unorganisierten bei den Berner Buchdruckereien akzeptieren, ihr bisheriges Mitgliedschaftsobligatorium, den «closed shop», aufgeben. Trotz der bitteren Erfahrungen mit diesem Arbeitskampf entwickelte sich der STB weiter: 1893 nahm das Internationale Buchdrucker-Sekretariat in Bern seine Arbeit auf, und ab 1900 beschäftigte der STB als erste schweizerische Einzelgewerkschaft mit Jacques Schlumpf (1870–1948) einen vollamtlichen Sekretär.
Der Arbeitskampf von 1889 war der erste gleichzeitig in einem grossen Teil der Schweiz geführte Streik. Auch beim Abschluss eines ersten für die gesamte Deutschschweiz geltenden Gesamtarbeitsvertrags zeigte sich die Pionierrolle der Drucker und Schriftsetzer. 1904 setzten STB und VSB ein gemeinsam getragenes Einigungsamt ein. 1906 trat ein erster überregionaler Tarif für die Maschinensetzer in Kraft und Anfang 1907 erstmals ein für alle organisierten gelernten Drucker und Setzer der Deutschschweiz geltender Gesamtarbeitsvertrag. Er verankerte unter anderem den Neunstundentag. Das 1848 erstmals postulierte Ziel einer landesweiten tarifvertraglichen Regelung der Arbeitsverhältnisse war erreicht.
Nach dem Zusammenschluss der Deutsch- und der Westschweizer Typographenverbände galt der GAV ab 1918 für die ganze Schweiz. Im Gefolge des Landesstreiks vom November 1918 gelang im Sommer 1919 der Durchbruch zur 48-Stunden-Woche, die Maschinensetzer konnten sich mit einem kurzen landesweiten Streik sogar die in anderen Branchen erst in den 1960er-Jahren eingeführte 44-Stunden-Woche erkämpfen. Der Ausbau und die Verteidigung der vertragspolitischen Errungenschaften verliefen allerdings weiterhin keineswegs immer kampflos: Im November und im Dezember 1922 musste der STB vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise einen harten landesweiten Abwehrstreik gegen die Abbaubestrebungen der Druckereibesitzer führen. Nach der Auflösung des Verbands der Papier- und graphischen Hilfsarbeiter trat 1926 ein Teil der Mitglieder dieser Organisation in den STB ein. Erstmals gehörten dem STB damit auch ungelernte und weibliche Mitglieder an.
Was bleibt? Die gewaltigen technischen Umwälzungen in der graphischen Industrie ab den 1970er-Jahren führten schliesslich dazu, dass sich die einst vorbildlichen Arbeitsbedingungen denjenigen in anderen Branchen anpassten. Trotz zwei landesweiten Streiks 1980 und 1994 verloren die graphischen Gewerkschaften weitgehend ihre vertragspolitische Führungsrolle. Die traditionsreichen Berufsgewerkschaften gingen in breiteren Zusammenschlüssen auf: 1980 schloss sich der STB mit dem Buchbinder- und Kartonagerverband zur Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) zusammen, 1998 folgte der Zusammenschluss der GDP mit dem Lithographenbund, der Journalisten-Union und dem Angestelltenverband des Buchhandels zur Mediengewerkschaft Comedia und 2010 deren Fusion mit den ehemaligen PTT-Gewerkschaften zur Gewerkschaft Medien und Kommunikation (Syndicom). Eine bereits von Anfang an in der Geschichte der Typographia präsente Besonderheit blieb allerdings bis heute teilweise erhalten: In der graphischen Industrie ist der gewerkschaftliche Einfluss auf die berufliche Aus- und Weiterbildung weit stärker als in anderen Branchen. Damit verfügt die Gewerkschaft auch über einen wichtigen Hebel dafür, die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen des technologischen Wandels mitzugestalten.
sektion-bern-medien.syndicom.ch
www.gutenbergmuseum.ch
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KI und der Weg dahin – Wir müssen reden!
Von Lukas Vogelsang — Am 1. März 2023 fand in Bern im Mobiliar-Hauptsitz ein Round Table über «Die Emanzipation der künstlichen Intelligenz» statt. Teilgenommen haben: Professor Florian von Wangenheim (ETH Zürich), Tobias Gutmann (Künstler, Sai-Bot-Performer), Anna-Lena Köng (Risiko-Stiftung), Jérôme Koller (Leiter Arena-Steuerung, Mobiliar). Moderiert wurde der Anlass von Marta Kwiatkowski, Leiterin Gesellschaftsengagement, Mobiliar. Ich versuche hier, die wichtigsten Aussagen oder Teile davon wiederzugeben und mich als ehemaliger technischer Redaktor in die Diskussion einzumischen.
Zu Beginn erzählte Tobias Gutmann, wie er zur Idee kam, den Sai Bot zu «erfinden»: Es sei eine längere Geschichte, denn er habe ja 10 Jahre lang mit dem Face-o-mat weltweit analog Gesichter gezeichnet. Während dieser Zeit seien immer mehr Dinge durch Maschinen ersetzt worden. So sitze man im Zug auch nicht mehr mit Menschen, sondern mit Mobilephones zusammen. Alles sei im Wandel, und die Digitalisierung sei auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Diese analogen Face-o-mat-Geschichten wurden auf sozialen Medien und Blogs geteilt. Und irgendwann, nachdem er rund 5000 Porträts gezeichnet hatte, überlegte er, wie es wäre, wenn er diese Zeichentechnik einem digitalen Wesen lernen würde. Und so entstand Sai Bot.
War das auch eine Frage der Effizienz?
Tobias Gutmann: Am Rande schon. Beim Face-o-mat mochte ich ja genau die Langsamkeit und wusste, dass ich niemals alle Menschen in der Welt würde zeichnen können. Bei Sai Bot ist es das Gegenteil: In Theorie könnte ich eigentlich das Ding hochskalieren, und für die Maschine wäre das möglich. Ich als Mensch habe da keine Chance.
Am Anfang ging ich die Idee noch leicht ironisch an. Das sei doch nicht dasselbe, das gehe doch nicht, man könnte mich doch nicht kopieren … Aber dann war eben diese Challenge, das mal auszuprobieren. Und das hatte mich gereizt. Jetzt hat Sai Bot schon Tausende Gesichter gezeichnet.
Ich bin etwas entsetzt: Wie unbedarft die Idee, den Menschen zu ersetzen, zustande kam, ist für mich befremdend: «einfach mal ausprobieren», «eine Challenge», eine Idee. Was bedeutet noch menschliches Leben? Ist die Frage nach dem Sinn des Lebens so unlösbar, dass wir uns «ent-sinnen»? Die Diskussionsrunde ist stolz auf die Leistung von Sai Bot. 1300 Zeichnungen wurden in der Mobiliar-Ausstellung allein gezeichnet – 5000 hatte Tobias innerhalb von 10 Jahren analog hingemalt. Die Quantität ist aus meiner Sicht kein Indikator. Als ich die Ausstellung vor zwei Monaten besuchte, hörte ich Mobiliar-MitarbeiterInnen erzählen, dass KollegInnen mit dem Ergebnis der Zeichnungen nicht zufrieden gewesen seien und immer und immer wieder neue Porträts ausprobiert hätten. Ein interessantes Phänomen, das man in die Diskussion einbeziehen müsste: Der Mensch hat die Interpretation der Maschine bewertet und so oft wiederholt, bis er mit dem «Ergebnis» zufrieden war. Würden wir ein Porträt ablehnen, wenn uns eine Malerin oder ein Maler gemalt und interpretiert hätte? Wie hoch wäre die «Fehlerquote»?
Die Maschine interpretiert nur anhand von äusseren Merkmalen und nicht anhand menschlicher Werte. So mag das Ergebnis einer Maschine lustig, nett sein oder eben lobend – doch berührt es so was wie die Seele? Sind es nicht vielmehr einfach Striche und Formen auf einem Papier? Oder stellen wir die Frage anders: Wenn wir ein von einem Menschen gezeichnetes Porträt und ein Computer-Porträt nebeneinanderhalten – welches von den beiden hat für uns mehr Wert? Kommt nicht beim Computerbild unweigerlich der Reflex: Das ist reproduzierbar?
Florian von Wangenheim: Als man begonnen hat, über künstliche Intelligenz zu reden, hat man das ja bewusst getan, und da kam der Begriff Intelligenz aus dem Gedanken, dass man menschliche Intelligenz überträgt. Und das ist natürlich, was Tobias macht, wenn er versucht, der Maschine seinen eigenen Zeichnungsstil beizubringen. Also die Maschine ahmt menschliche Intelligenz nach. Gleichzeitig hat man sich wieder etwas davon verabschiedet, dass Maschinen wirklich intelligent werden können – oder man weiss es noch nicht so richtig. Der zweite Aspekt ist, dass wir künstliche Intelligenz, seit der Begriff aufgekommen ist – eigentlich aus der Science-Fiction-Literatur –, etwas damit verbinden, was in der Zukunft stattfindet. KI ist ja seit den 50er‑, 60er-Jahren auch in verschiedenen Maschinen drin und bestimmt zunehmend unser Leben. Aber es zeigt auf die Zukunft hin. Auf wissenschaftlichen Konferenzen begegnet man häufig der Definition, dass KI immer das ist, was in fünf Jahren möglich sein wird … Und der dritte wichtige Aspekt ist dieses fortwährende Lernen oder die Idee, dass Maschinen selbstständig lernen können. Ich vermute, dass Sai Bot noch nicht fähig ist, aus vergangenen Porträts, die es gemalt hat, und aus Reaktionen, welche Menschen daraufhin zeigten, lernen kann und in der Zukunft anders zeichnen würde. Das wäre der Lernaspekt, in den man viel Hoffnung reinsteckt – aber auch viele Ängste, dass sich die künstliche Intelligenz dann weiterentwickelt. Intelligenz hat ja damit was zu tun, dass man schlauer wird über die Zeit. Und das ist diese abstrakte Idee, dass man Maschinen durch den Aspekt des Lernens Intelligenz verleiht.
Tobias Gutmann entschärft: Er hat die Kontrolle über Sai Bot, das heisst, diese Maschine lernt nicht, sondern führt nur aus, was Tobias ihr gezeigt hat. Lernfähig ist sie nicht. Dafür bräuchte es Feedbacks wie Ratings, damit das System eine Wertung vollziehen kann. Feedbacks? Das kennen wir doch von all den Diensten und Services, die uns täglich nach jedem Kontakt zugestellt werden, damit wir eine Bewertung abgeben.
Tobias’ Antwort ist beruhigend, aber war schon zuvor klar, weil die Technik und die digitale Kapazität für ein solches Projekt noch immer gewaltig sind. Auf einem normalen Computer kann man den Anfang machen – doch die Lernkurve generiert überproportional so viele Daten, dass ein solche Software schlicht die Prozessoren überhitzt und sich die Maschine durch überproportionale Lernrechnungsaufgaben bis zum Stillstand verlangsamt. Deswegen sind die «intelligenten» Systeme auf Grossrechnern ausgelagert, die durch parallele Rechnerverbindungen weltweit operieren. Da geht’s um Rechnungskapazitäten, die wir uns nicht vorstellen können. ChatGPT und all diese «Spielmaschinen», die zurzeit in aller Munde sind, sind darauf ausgerichtet, von den Menschen zu lernen. Ein wichtiger Moment. Aber wer versucht, eine Frage zu stellen, steht oft lange in der digitalen Warteschlange. Das sind insofern gute Nachrichten, als unsere Autos deswegen noch nicht übermässig intelligent sein können. Oftmals sind KI-Ankündigungen schlicht nur Werbung für etwas, das vielleicht in fünf Jahren möglich sein könnte …
Wir hören auch diese Geschichten aus dem unternehmerischen Umfeld, wenn wir jetzt an IBM Watson denken. Vor einigen Jahren gab es die Geschichte, dass in Japan Watson in einer Versicherung eingesetzt worden ist. Was sind da die Potenziale?
Jérôme Koller: Der Fall Watson war damals eine Inspirationsquelle, die haben auch ziemlich viel Werbung gemacht dafür mit der Begründung, es werde sehr viel Effizienz bringen. Diese japanische Versicherung war die erste Firma, die meinte, sie werfe 30 Mitarbeiter raus, weil sie dachten, dass das System diese ersetzen wird. Das war natürlich für diese Versicherung gute Werbung.
Es gibt ein riesiges Potenzial diese Technologie bei uns einzusetzen. Wir bei der Mobiliar werfen natürlich deswegen keine Menschen auf die Strasse, aber wir verwenden solche Systeme. Wer ChatGPT kennt: Bei der Mobiliar setzen wird dieses System nicht ein, aber die Technologie, die darunter liegt, diese transformierenden Algorithmen, sind bei uns in der Tat auch im Einsatz. Aber nur für sehr gezielte Anwendungen. Ein Beispiel wäre: Technologien kann man in einem Unternehmen nutzen, um die Effizienz zu steigern. Aber das ersetzt keine Menschen. Gerade bei der Mobiliar sind die Kunden im Zentrum. So zum Beispiel werden diese Systeme beim Erfassen von Schadensmeldungen eingesetzt und vereinfachen diese Prozesse für die Kunden.
Viele erinnern sich noch an die Suchmaschine Yahoo. Vor 20 Jahren musste man sich auf dieser riesigen Seite durch Kategorien klicken und den Weg zu den Informationen selbst suchen. Doch alle wissen heute, dass Google einfach eine weisse Seite ist mit einem Logo und einem Suchfeld. Und das ist für mich die konzentrierte Macht dieser Technologie. Ich kann einfach schreiben, was ich will, und ich erhalte erste Antworten. ChatGPT macht hier das Potenzial noch grösser.
Eine gute, fachkundige Bemerkung, die Koller hier macht. Die Diskussion geht aber immer, wenn fachkundiges Wissen auftaucht, in die Vertrauensrichtung. Also die eigentliche Frage, die sich mir stellt: Können wir Maschinen vertrauen? Anna-Lena Köng, die einzige Fachfrau in der Runde, kommt erst nach 23 Minuten und 50 Sekunden zu Wort und sagt Wesentliches: Sie vergleicht das Vertrauensthema mit den ersten Flugzeugen. Da sei man auch nicht einfach gleich eingestiegen und in die Luft geflogen – das Vertrauen in die Maschine brauchte Zeit. Ich würde gerne noch anmerken: Bis heute ist die hunderprozentige Sicherheit beim Fliegen nicht gegeben und es stürzt immer wieder ein Flieger ab. Vielleicht ist mein Editorial dieser Ausgabe auch interessant: Vertrauen ist eine menschliche Eigenschaft. Vertrauen Maschinen uns? Oder ist das eine einseitige Liebesbeziehung? Wir sind noch sehr weit entfernt davon, dass eine Maschine echte Kultur verstehen und leben kann. Das macht sie als Bestandteil einer Gesellschaft unbrauchbar, höchstens als Sklave davon nützlich. Doch genau diese Passage wäre dringend zu überdenken. Man stelle sich vor, was passiert, wenn die Maschine es merkt!
Doch Köng sagt auch, dass sich die Entwicklung von automatisierten Prozessen hin zu autonomen Systemen verlagere. Das ist diese Neuentwicklung oder eben der Unterschied zu den 60er-Jahren, als man Maschinen pseudointelligent gemacht hat. Das ist eine Schlüsseldefinition von dieser Entwicklung oder davon, was wir zurzeit erleben. Köng meint zudem, dass es sehr kompliziert und schwierig sei, mit diesen neuen, autonomeren Maschinen mitzuhalten – als Menschen. Es brauche viele neue Regulierungen, das Bildungswesen rüttle es momentan stark auf, und wir müssten da viel schneller werden. Gleichzeitig sei es schwierig, jetzt schon Grenzen zu setzen. Das Militär wiederum erforsche sehr stark diese Mensch-Maschinen-Symbiose, und Köng meint dazu, dass wir uns noch viel mehr in diese Richtung entwickeln würden.
Bei einer These klingelten aber die Alarmglocken: Köng meinte – und ich weiss schon, wie sie es meinte –, dass Maschinen fehlerhaft bleiben sollten, damit wir Menschen nicht dieser Perfektion gegenüberstehen. Also eine «natürliche» Fehlerquote im Bordcomputer eines selbstfliegenden Flugzeugs? Sollen wir darauf vertrauen, dass die Maschine eine gleiche Fehleranfälligkeit aufweist wie der Mensch? Wollen wir das?
Und gut ist, dass wir eben genau über diese Ideen, Maschinen und unsere Zukunft diskutieren.
Das war jetzt knapp die Hälfe der Diskussion, die ich hier verarbeitet habe. Wer diese nachhören möchte, kann auf unserer Website oder bei Tobias Gutmann auf dem Instagram-Account nachsehen.
www.instagram.com/tobiasgutmann
Über Tobias Gutmann
Seit mehr als zehn Jahren porträtiert Tobias Gutmann (*1987) mit seiner Performance «Face-o-mat» Menschen. Er wurde bereits in namhafte Ausstellungshäuser wie das Centre Pompidou in Paris, das Platform L Contemporary Art Center in Seoul, das Haus Konstruktiv in Zürich und die Kunsthalle Bern eingeladen. 2019 begann der Künstler eine Zusammenarbeit mit Dazlus, um Sai Bot zu entwickeln. Der künstlichen Intelligenz wurde beigebracht, Gesichter zu lesen und zu interpretieren. Dabei hat Sai Bot gelernt, Brillen, Haare, Ohren und Muttermale zu analysieren. Im Gegensatz dazu sind herkömmliche Gesichtserkennungssoftwares auf die Erkennung von Augen und Mund spezialisiert. Nun porträtiert die künstliche Intelligenz im Stil von Tobias Gutmann Menschen in aller Welt.

Tragödie in 8 Akten
Die Reformen der Polygrafen-Bildungsverordnungen haben in den letzten Jahren schon inflationäre Züge angenommen.
Die Reformen der Polygrafen-Bildungsverordnungen haben in den letzten Jahren schon inflationäre Züge angenommen. Revision jagt Revision. Man könnte aber auch sagen, Flop jagt Flop. Kaum haben die ersten gestalterischen Polygrafen/innen ihre Prüfungen abgelegt, wird diese Fachrichtung wieder verschwinden. Eigentlich schon peinlich, was da unter der Ägide der paritätischen Berufsbildungsstelle für visuelle Kommunikation (PBS) bzw. der Trägerverbände geleistet wird und welche enormen Gelder verschleudert werden. Hinter vorgehaltener Hand spricht man von mehreren hunderttausend Franken. Aber auf die Ursachen dieses Desasters wird nicht eingegangen. Kritiker werden totgeschwiegen und schlussendlich auf der Viscom-Homepage verunglimpft und der Lächerlichkeit preisgegeben. Meines Erachtens muss dieser Tragöde sofort eine Ende gesetzt werden.
1. Akt
Die Gestaltung ist bei dieser Revision wieder einmal die Streitfrage. Vorweg, ich könnte dieser Verordnung absolut zustimmen, wären da nicht gewisse Fakten, die hartnäckig negiert wurden. Man glaubt, wenn schöne Lernziele in der Bildungsverordnung aufgelistet werden, sei das Problem schon gelöst. Was nützen solche Wunschträume, wenn die Auszubildenden während der Lehre kaum die Möglichkeit erhalten, gestalterisch tätig zu sein? Wo ist das fachliche Anforderungsprofil an die Lehrmeister, Experten und Lehrkräfte? Dies gibt es schlicht und einfach nicht. Lernen heisst, dass die typografischen Grundlagen immer wieder überprüft und korrigiert werden müssen. Dies im Betrieb wie auch in den Berufsschulen. Gestalten heisst nicht, 4 Zeilen in einem Format zu positionieren. Dies reicht schlicht und einfach nicht. An den Abschlussprüfungen der Polygrafen/-innen wird jedes Jahr gejammert, wie schlecht es um die typografische Gestaltung steht. Übrigens, dies habe ich auch dieses Jahr wieder hören müssen.
Was die fehlende Gestaltungsausbildung für die ausgebildeten Polygrafen bedeutet, lese ich oft in den Motivationsschreiben für die Fachhochschule. Viele Polygrafen/-innen sind frustriert, da ihnen versprochen wurde, dass sie auch gestalten könnten. Schon während der Lehre merken sie, dass dies kaum der Fall ist und viele wenden sich dann frustriert vom Beruf ab und versuchen die fehlende gestalterische Ausbildung in der beruflichen Weiterbildung oder an den Fachhochschulen zu erwerben. Da sie aber – durch die nicht vorhandenen Möglichkeiten während der Lehre – nicht über ein genügend breites Portfolio verfügen, sind ihre Chancen an den Fachhochschulen eher gering. In der beruflichen Weiterbildung müssen wir feststellen, dass alles nochmals von der Pike auf gelernt werden muss.
Natürlich können die Ausbildungsbetriebe nicht einfach Gestaltungsarbeiten herbeizaubern. Die Untersuchung von Syndicom-Mitglied Fritz Maurer hat gezeigt, dass nur gerade 20 Prozent der Betriebe die gestalterischen Anforderungen erfüllen können.
Schlussendlich sind die Auszubildenden die Opfer dieser verfehlten Politik. Da werden schlicht und einfach junge Menschen, denen man versprochen hat, dass sie in ihrem Beruf gestalterisch tätig sein können, hinters Licht geführt!
Ein typisches Beispiel für eine Firma, die Polygrafen in der Fachrichtung Gestaltung ausbilden: Eine Druckerei, die auf ihrer Homepage einen qualitativ hoch stehenden Druck anpreist und primär das technische Equipment in den Vordergrund stellt. Die Lernenden werden von Polygrafen und Techno-Polygrafen ausgebildet. Kein einziger Mitarbeiter, keine einzige Mitarbeiterin hat eine gestalterische Zusatzausbildung.
2. Akt
Die «PBS» wäre eigentlich zuständig dafür, dass einmal eine genaue Analyse erstellt wird, warum der Gestaltungsanspruch in den letzten rund 20 Jahren gescheitert ist. Anstelle der Verbände hat Fritz Maurer in Fronarbeit eine beachtliche Umfrage auf die Beine gestellt. Er ist es, der eine Grundlage für ein neues Polygrafen-Reglement erarbeitet hat. Aber man weiss ja aus der Vergangenheit, dass einfach sämtliche Anregungen/Kritik unter den Tisch gewischt werden (siehe 4. Akt). Ein autoritäres Verhalten, das zum Himmel schreit. Es gilt nun endlich, dieser Verbandsmeierei einen Riegel zu schieben. Sorry, die Verbände mit ihren gut bezahlten Funktionären haben in der Vergangenheit ihre «Hausaufgaben» schlecht gelöst.
3. Akt
Umgang mit Kritik war nie die Stärke von «viscom». Alles soll im Schnellzugstempo durchgezogen werden. Peter Theilkäs gibt da das Tempo an. Im Schlepptau der «viscom» gibt es da noch die Gewerkschaften «syndicom» und «syna». An den verschiedenen Veranstaltungen der neuen Bivo waren sie aber bestenfalls als Zaungäste anwesend. Gerade sie müssten sich aber für die kommenden Berufsleute stark machen. Es nützt wenig, wenn man in den Betrieben und Berufsschulen Werbung für einen Beitritt in die Gewerkschaft macht, aber in der Praxis zuschaut, wie die Jungen im Regen stehen gelassen werden.
4. Akt
Zur Bivo gibt es ja auch eine Vernehmlassung. Die Anregungen von Kritikern werden dort – wie schon erwähnt – meist negiert. In der Untersuchung zur neuen Polygrafen-Bivo schreibt Fritz Maurer: «Mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte bin ich da alles andere als euphorisch und erlaube mir über den weiteren Verlauf der Inkraftsetzung der revidierten Bildungsverordnung folgende Prognose. Die Vernehmlassungsfrist ist ja, wie üblich, sehr kurz und es werden sicher einige Korrekturen und Änderungen vorgeschlagen. Weil es ja alles Einzelmeinungen sind, werden die zuständigen Berufsverbände bzw. wird die Arbeitsgruppe keinen Anlass sehen, grosse Korrekturen vorzunehmen. So wird dann der vorliegende Entwurf nächstes Jahr, evtl. mit kleinen sprachlichen Anpassungen, in die offizielle Vernehmlassung gehen und per 1. Januar 2014 in Kraft gesetzt – basta!». Er sollte nun Recht bekommen. Schwer war es nicht – auf dem Hintergrund der gemachten Erfahrungen der Vergangenheit – dies vorauszusagen.
5. Akt
Jetzt kommt auf der Viscom-Hompage ein Prof. Dr. Dörig zu Wort. Vorausgegangen war in der Zeitschrift «viscom» der Artikel «Revision Polygraf hinterfragt». Dabei wird suggeriert, dass die Kritiker nur noch eine/n technische/n Polygraf/-in haben möchten. Dies ist schlicht und einfach falsch und zielt darauf ab, die Kritiker in die Ecke der reinen Technokraten zu stellen.
Prof. Dr. Dörig bezeichnet sich als neutraler und objektiver Beobachter. Den Artikel zu lesen, kann man sich ersparen. Inhaltlich gibt er kaum etwas her. Seine Huldigungen an die Kommission und das SBFI wirken peinlich. Die Kritiker werden der Polemik bezichtigt. Da weiss er zu berichten, dass solche undifferenzierte geäusserte Polemik – er meint da 3 Kritiker – nicht nur unsachlich, sondern auch unwürdig seien. Da verkennt der Professor aus der Ostschweiz nun wirklich Ursache und Wirkung.
Ich frage mich aber, warum ein Professor aus dem Appenzell sich zur Polygrafen-Bivo äussert. Sollte allenfalls dieser Professor im Solde der «viscom» oder «PBS» stehen? Hat er mitverdient an der Bivo-Revision? Ich weiss es nicht. Wenn es so wäre, ist dies im höchsten Mass peinlich. Noch etwas, der kluge Professor hat noch einige Schreibfehler bei den drei Kritikern entdeckt. Na toll, da hat sein Schreiben wenigstens noch etwas Positives.
6. Akt
Wie weiter? Wenn jetzt die Polygrafen-Bivo umgesetzt wird, heisst es den Schaden in Grenzen zu halten. Die Ausbilder/-innen, Lehrer/-innen und Experten/-innen müssen ein klares Anforderungsprofil erfüllen. Dies heisst, dass sie ein gestalterisches Leistungsprofil vorweisen müssen. Sie können nur dann im Bereich Gestaltung ausbilden, bewerten und unterrichten, wenn sie eine gestalterische Weiterbildung haben oder täglich gestalterisch tätig sind. Sollte ein Betrieb dies nicht vorweisen können, müsste dieser eine geeignete Firma als zweiten Ausbildungsort suchen, der sich der gestalterischen Ausbildung annimmt. Mit dieser Massnahme könnte dann effektiv bewiesen werden, dass man es mit der Gestaltung in der Ausbildung ernst meint.
7. Akt
Zu befürchten ist, dass dies kaum geschehen wird. Eine nächste Revision würde sich dann erübrigen. Ein absolutes überdenken dieser Ausbildung wäre unausweichlich.
Ein weiterer Schritt könnte sein, dass die Ausbildung zum Teil in Lehrwerkstätten mit Praktika absolviert würde: Gestaltung in die Werkstätten, Technik in die Betriebe. Sicher ist, dass bei einem erneuten Scheitern im Bereich der typografischen Gestaltung dieses leidige Thema wahrscheinlich für immer vom Tisch wäre. Dies könnte dann der endgültige Todesstoss der Polygrafen-Lehre im Gestaltungsbereich gewesen sein. Schade!
8. und vorerst letzter Akt
Dass solche Revisionen viel kosten, habe ich eingangs erwähnt. Beratungen und Überprüfungen durch externe Stellen verschlingen nochmals Unsummen. Eigentlich ein Skandal.
Mit der Übernahme der paritätischen Berufsbildungsstelle hat «viscom» einen noch grösseren Einfluss auf die Ausbildung. Faktisch bestimmen sie allein über die berufliche Grund- und Weiterbildung.
Man kann nur vermuten, was dies für die Zukunft bedeutet. Dies ist höchst beunruhigend und lässt nichts Gutes erahnen.
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Einschätzung von Hans Kern, Zentralsekretär Bildung:
Das Berufsbild Polygraf/Polygrafin ist revidiert. Nach zweijähriger Arbeit hat die Schweizerische Kommission für Berufsentwicklung und Qualität Polygrafie (BeQu) den Entwurf der revidierten Bildungsverordnung und des dazugehörenden Bildungsplanes verabschiedet.
Das Berufsbild erhielt eine klare Struktur mit Handlungskompetenzen in den Bereichen Sprache, Mikrotypografie und typografischer Gestaltung. Die Ausbildungsschwerpunkte im Print- sowie im Screenbereich lösen die Fachrichtungen ab. Die zweite Landessprache in der deutschsprachigen Schweiz bleibt Französisch. Die eingegangenen Korrekturvorschläge (speziell diese von Fritz Maurer) wurden in der BeQu und der Arbeitsgruppe akribisch durchgearbeitet. Nun müssen der Rahmenlehrplan, die Modelllehrgänge und der Bildungsplan für die überbetrieblichen Kurse erarbeitet werden. Dazu treffen sich Mitte September VertreterInnen aus den Berufsschulen, den Betrieben und den überbetrieblichen Kurszentren zu einer Klausurtagung. Die Resultate und insbesondere die Modelllehrgänge für die betrieblich Ausbildung werden in unserer Fachpublikation Fachhefte Grafische Industrie vorgestellt.